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Algar­ve für Ent­de­cker-Buch­be­spre­chung: Por­tu­gal – Ein Länderporträt

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Ein neu­es Buch über die ältes­te Nati­on Kontinentaleuropas

 

Cover Simon Kamm - PortugalInner­halb der Rei­he „Län­der­por­träts“ ver­öff­fent­lich­te der Ber­li­ner Ch. Links Ver­lag im Juni 2014 den Band „Por­tu­gal“ von Simon Kamm. Ganz klar eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit für uns, spä­tes­tens jetzt die­ses über­aus inter­es­san­te Buch des jun­gen Autors hier ganz aus­führ­lich vorzustellen.

Simon Kamm
Portugal
Ein Länderportrait
224 Sei­ten, Klappenbroschur

Juni 2014 / 1. Auflage
ISBN 978–386153-783–0
16,90 EUR (D) / 17,40 (A)

E‑Book: 9,99 EUR

 

Prä­zi­se Beob­ach­tun­gen über ein „eigen­sin­ni­ges“ Land

 

Der 1981 gebo­re­ne Autor Simon Kamm, gebür­ti­ger Schwei­zer und in Mexi­ko auf­ge­wach­sen, lebt seit gut zwan­zig Jah­ren fast unun­ter­bro­chen in Por­tu­gal. Zwi­schen 2006 und 2013 als Jour­na­list bei der por­tu­gie­si­schen Nach­rich­ten­agen­tur LUSA in Lis­sa­bon tätig, arbei­tet er seit­her als frei­er Jour­na­list für deutsch­spra­chi­ge Zeitungen.

Nach dem Lesen des Vor­wor­tes, in wel­chem Kamm einen gro­ßen Bogen spannt, weiß der Leser Bescheid: Hier schreibt ein Enga­gier­ter, der Por­tu­gal und sei­nen Men­schen gro­ße Sym­pa­thien ent­ge­gen­bringt. Simon Kamm bezeich­net Por­tu­gal als sei­ne Hei­mat. Und den­noch – oder gera­de des­halb – hat er einen ziem­lich kla­ren Blick auf „die­se eigen­sin­ni­ge Ecke Euro­pas“ mit sei­nen aktu­el­len Befind­lich­kei­ten, Wider­sprü­chen und Pro­ble­men. Sein beschei­de­nes State­ment am Schluss der Ein­lei­tung nimmt etwa­igen Beck­mes­sern gleich den Wind aus den Segeln: „….so weiß ich doch, dass das Bild (von Por­tu­gal) am Ende wohl immer schief hän­gen und die­sem ein­ma­li­gen Land und sei­nen groß­ar­ti­gen Men­schen nicht gerecht wer­den wird“.

Portugiesischer Nationaldichter Luís de Camões als "Sandman" (Sandskulpturenfestival in Pêra 2014)
Por­tu­gie­si­scher Natio­nal­dich­ter Luís de Camões als "Sand­man" (Sand­skulp­tu­ren­fes­ti­val in Pêra 2014)

 Wohl­über­leg­ter Auf­bau ver­spricht Lesevergnügen

 

Das 224 Sei­ten star­ke Klap­pen­bro­schur besteht aus sie­ben Haupt­ka­pi­teln, die ihrer­seits noch eine Ebe­ne tie­fer struk­tu­riert sind. Des wei­te­ren gibt es einen Anhang, der vie­le nütz­li­che Infor­ma­tio­nen in kom­pri­mier­ter Form enthält.

Hier das Inhalts­ver­zeich­nis zur Orientierung:

  • Von einer Welt­macht zum ärms­ten Land Westeuropas
    • Ankunft in Europa
  • Am Ran­de Euro­pas – „Wo das Land auf­hört und das Meer beginnt“
    • Begeg­nung in London
    • Die etwas ande­ren Süd­län­der: Was die eigen­sin­ni­gen Por­tu­gie­sen ausmacht
    • Ibe­ri­sche Hass­lie­be: Das eigen­ar­ti­ge Ver­hält­nis der unglei­chen Nachbarn
    • Por­tu­gie­sisch: Die unbe­kann­te „heim­tü­cki­sche“ Weltsprache
  • Klei­nes Land, gro­ße Kon­tras­te (561 mal 218 Kilometer)
    • Haupt­stadt und Land: Der Rest ist bei wei­tem nicht nur Landschaft
    • „Lie­bes­er­klä­run­gen“ zwi­schen Nord und Süd
    • Regio­na­le Schnappschüsse
  • Por­tu­gal zum Genie­ßen und Ver­zwei­feln: Ein­bli­cke in die alma lusa
    • Rebel­len ohne Grund: Über feh­len­den Bür­ger­sinn und Zivilisiertheit
    • Über das por­tu­gie­si­sche Zeit­ver­ständ­nis und die Arbeits­kul­tur. Und die hei­mi­sche Kunst­gat­tung namens desen­rascan­co
    • Natio­na­le Iden­ti­tät und Patrio­tis­mus: „Über mei­ne Fami­lie und mein Land rede nur ich schlecht und sonst keiner!“
    • Der beson­de­re Stel­len­wert des Essens: Vom por­tu­gie­si­schen Magen zum por­tu­gie­si­schen Charakter
    • All das ist trau­rig. All das ist Fado! – Wie die Por­tu­gie­sen ihr Schick­sal besingen.
    • Kul­tu­rel­le Wahr­zei­chen Por­tu­gals: Über Dich­ter und Verwandlungskünstler
  • Flie­sen­bil­der einer fast 900 Jah­re alten Geschichte
    • „Por­tu­gal. Sin­ce 1143“ – Über die Urpor­tu­gie­sen und die Bil­dung der natio­na­len Identität
    • Auf­bruch zu unbe­kann­ten Ufern: Die ruhm­rei­che Ver­gan­gen­heit als See­fah­rer­na­ti­on und Kolonialmacht
    • „Über Mee­re, die nie zuvor befahren“
    • Das gol­de­ne Zeit­al­ter und der schlei­chen­de Unter­gang des Imperiums
  • Der ein­ge­zäun­te Gar­ten Sala­zars – und der beschwer­li­che Weg zur Demokratie
    • Stolz und allein: Das Mot­to der auto­ri­tä­ren Dik­ta­tur des Estado Novo
    • Zen­sur, Staats­po­li­zei und das Wort „Frei­heit“.
    • Der letz­te neu­tra­le Hafen: Hel­den, Spio­ne und ande­re Geschichten
    • Der Anfang vom Ende – Kolonialkrieg
    • Eine typisch por­ti­gie­si­sche Revo­lu­ti­on und das Unge­wis­se danach
    • Viel Staub unterm Tep­pich: Zwi­schen Bruch und Kontinuität
  • Im Schnell­durch­gang nach Euro­pa: Alte Pro­ble­me & neue Krise
    • Die Boom-Jah­re: Zwi­schen Fort­schritt und Beton
    • Die „Wie­der­ent­de­ckung des Meeres“
    • Por­tu­gals neue EU-Gene­ra­ti­on: Ein Bruch mit der Vergangenheit
  • Anhang
    • Ein paar his­to­ri­sche Daten, die es sich zu mer­ken lohnt
    • Basis­da­ten Portugal
    • Kar­te
    • Lite­ra­tur
    • Nütz­li­che Links
    • Dank
Blick auf das Castelo von Bragança, Trás-os-Montes
Blick auf das Cas­te­lo von Bra­gan­ça, Trás-os-Montes

Natür­lich hat sich der Autor Gedan­ken gemacht, wie und in wel­cher Rei­hen­fol­ge er den Leser die The­men sei­nes Län­der­por­träts prä­sen­tiert. Das ist unse­rer Mei­nung nach gut gelungen.

Gleich im ers­ten Kapi­tel (Von einer Welt­macht zum ärms­ten Land West­eu­ro­pas) rammt Simon Kamm Pflö­cke ein. Er star­tet eine furio­se poli­ti­sche Tour d’horizon über Por­tu­gal und sei­ne fas­zi­nie­ren­de Geschich­te: den Auf­stieg zur Welt­macht und deren Nie­der­gang, den Auf­bruch nach Euro­pa nach der blei­er­nen Dik­ta­tur, die Boom-Pha­se bis zur Finanz­kri­se und dem bis heu­te anhal­ten­de Kat­zen­jam­mer. In die­sem Kapi­tel schreibt sich Simon Kamm bereits die See­le vom Leib. Sein enga­gier­ter, kri­ti­scher Stil, jedoch immer vol­ler Empa­thie für die por­tu­gie­si­schen Men­schen, nimmt den Leser mit und begeis­tert. Danach muss man erst mal durch­at­men und kurz inne­hal­ten. Whow!

Im letz­ten Satz des ers­ten Kapi­tels ver­spricht der Autor (war­um eigent­lich?), dass die nächs­ten Sei­ten „garan­tiert (fast) poli­tik­frei…“ sein wer­den. Das hält er aber im Lau­fe des Buches nicht ganz durch, dazu ist der jun­ge Mann ein­fach zu lei­den­schaft­lich invol­viert – und das ist auch gut so.

 

Die "etwas ande­ren Südländer"

 

Im zwei­ten Kapi­tel wid­met sich Simon Kamm aus­gie­big der por­tu­gie­si­schen Gesell­schaft. Dabei erfährt der Leser sehr viel über spe­zi­fi­sche Eigen­hei­ten und für den Por­tu­gal­ken­ner macht es Freu­de, die Ansich­ten und Rück­schlüs­se von Kamm an den eige­nen Erfah­run­gen zu spie­geln.  Für den Por­tu­gal-Neu­ling kann die­ser, aus unse­rer Sicht star­ke Abschnitt des Buches, eine gro­ße Hil­fe sein, ein unbe­kann­tes Land und sei­ne Men­schen ver­ste­hen zu ler­nen. Der Autor spricht dem Volk der "sanf­ten Sit­ten" (bran­dos cos­tu­mes) zu Recht eine Men­ge posi­ti­ver Eigen­schaf­ten zu, wie z.B. Gast­freund­schaft und Hilfs­be­reit­schaft, eine enor­me Anpas­sungs­fä­hig­keit, einen selbst­iro­ni­schen Humor, eine legen­dä­res Exper­ten­tum in Sachen Impro­vi­sa­ti­on (genannt: desen­rascan­co) und nicht zuletzt einen Sinn für die guten Din­ge des Lebens vor allem in Form von gutem Essen und Trin­ken zu jeder sich bie­ten­den Gele­gen­heit. Eben­so kann man Kamms lei­se und nie­mals  hämi­sche Kri­tik an der Rück­wärts­ge­wand­heit und Schick­sals­er­ge­ben­heit der Por­tu­gie­sen nach­voll­zie­hen. Das von ihm soge­nann­te "Natio­nal­ge­fühl Sau­da­de", die uner­füll­te Sehn­sucht, wel­che eine por­tu­gie­si­sche See­le heim­su­chen kann ist eben nicht nur ein Kli­schee, son­dern wirk­lich tief in den Men­schen ver­an­kert. Aller­dings tut sich laut Kamm hier eini­ges und der Kampf­geist des Vol­kes ist durch die Aus­wir­kun­gen der Finanz­kri­se, die Por­tu­gal so stark beu­telt, erwacht. Es ist zu spü­ren, wie Kamm für die Por­tu­gie­sen ein­tritt bei ihrem aktu­el­len Kampf gegen die kol­lek­ti­ve Depres­si­on , gegen die erlit­te­nen Demü­ti­gun­gen durch Rating­agen­tu­ren und Troi­ka und nicht zuletzt gegen ihre eige­nen ver­sa­gen­den Eliten.

Einen grö­ße­ren Abschnitt inner­halb die­ses Kapi­tels wid­met Kamm dem Ver­hält­nis zum ibe­ri­schen Nach­barn Spa­ni­en. Irgend­wie muss die­ses The­ma bei jedem Buch über Por­tu­gal wohl abge­han­delt wer­den. Aber Kamm hält sich dan­kens­wer­ter­wei­se nicht all­zu­lan­ge mit den bekann­ten Kli­schees und Bana­li­tä­ten auf, son­dern lei­tet das etwas schwie­ri­ge Ver­hält­nis aus Sicht der Por­tu­gie­sen aus der Geschich­te ab, in der Por­tu­gal stets sich dem Zugriff des gro­ßen Nach­barn erweh­ren muss­te. Dies ist heu­te Ver­gan­gen­heit und die gegen­sei­ti­gen Läs­te­rei­en gehö­ren halt zur Folk­lo­re. Man kennt das auch von andern unglei­chen Nach­barn, wie etwa zwi­schen Deutsch­land und der Schweiz oder Deutsch­land zu Österreich.

Gro­ßes Lob gebührt dem Autor für den Abschnitt über die schwie­ri­ge por­tu­gie­si­sche Spra­che. Es gibt immer noch vie­le Zeit­ge­nos­sen, die aus Unkennt­nis die Eigen­stän­dig­keit die­ser Welt­spra­che nicht erfas­sen und sie unbe­darft mit spa­nisch  in einen Topf wer­fen. Allen spa­nisch Spre­chen­den gibt Kamm gleich zu beden­ken, dass man "prak­tisch nur Bahn­hof ver­steht", wenn man zum ers­ten mal mit por­tu­gie­sisch kon­fron­tiert wird. Zu recht erwähnt der Autor die Fül­le von Nasal­lau­ten, Diph­ton­gen, Halb­vo­ka­len an die man sich zu gewöh­nen hat. Dies dürf­te unter den roma­ni­schen Spra­chen ein­ma­lig sein und macht das Erler­nen des por­tu­gie­si­schen zu einer erheb­li­chen Herausforderung.

 

"Klei­nes Land, gro­ße Kontraste"

 

Eine sehr stim­mi­ge Über­schrift. Auf den ers­ten Blick wür­de man nicht glau­ben, dass das flä­chen­mä­ßig klei­ne Por­tu­gal sich der­art abwechs­lungs­reich dar­stellt. Simon Kamm packt jetzt aber nicht den Rei­se­füh­rer aus, son­dern erklärt dem Leser, gespickt mit per­sön­li­chen Anek­do­ten, die geo­gra­fisch und kli­ma­tisch äußerst ver­schie­den­ar­ti­gen Regio­nen des Lan­des und deren Bewoh­ner auf unter­halt­sa­me Wei­se. Es kom­men die Gegen­sät­ze und Riva­li­tä­ten der bei­den größ­ten Städ­te Lis­sa­bon und Por­to zur Spra­che, die sich kei­nes­wegs nur auf Fuß­ball begrün­den.  Man neckt sich gegen­sei­tig, wie es in jedem Land zwi­schen wich­ti­gen Städ­ten üblich ist. In der Riva­li­tät zwi­schen Por­to und Lis­sa­bon ver­birgt sich stell­ver­tre­tend der Gegen­satz zwi­schen dem klein­räu­mi­gen Nor­den und dem weit­räu­mi­gen Süden des Lan­des, wobei der Flusss Tejo etwa die Gren­ze bil­det.  Aber auch der enor­me Kon­trast zwi­schen Min­ho, Trás-os-Mon­tes, Alen­te­jo, Algar­ve um nur eini­ge der his­to­ri­schen Regio­nen zu nen­nen, wird sehr gut abge­han­delt. Einen etwas unnö­ti­gen ver­ba­len Aus­rut­scher leis­tet sich Kamm über das tou­ris­ti­sche Haupt­ge­biet der Algar­ve Regi­on zwi­schen Lagos und Faro. "Selbst schuld, wenn man da ver­harrt", so sei­ne Wor­te. Das klingt sehr arro­gant. Auch wenn es z.T. hef­ti­ge Bau­sün­den gab und gibt, so soll­te man die dort leben­den und arbei­ten­den Men­schen sowie die dort­hin Rei­sen­den nicht pau­schal abkanzeln.

Gut ist, dass Kamm aber nicht nur in der Haupt­stadt sitzt, son­dern auch per­sön­lich in den ent­le­ge­nen Pro­vin­zen unter­wegs ist. So fährt er z.B. nach Bra­gan­ca bzw. Miran­de­la in der Pro­vinz Trás-os-Mon­tes, um aus ers­ter Hand viel­fäl­ti­ge Erfah­run­gen zu sam­meln. Das erfreut den Por­tu­gal­lieb­ha­ber. Im Unter­ka­pi­tel "Regio­na­le Schnapp­schüs­se" lässt der Autor den Leser teil­ha­ben an per­sön­li­chen Erleb­nis­sen bei die­sen Rei­sen in ver­schie­de­ne Regionen.

Blick auf den Nationalpark Geres, Minho
Blick auf den Natio­nal­park Geres, Minho

Die „alma lusa“ – ein immer­wäh­ren­des Thema

 

Bei die­sem Kapi­tel begibt sich Kamm in die por­tu­gie­si­schen All­tag mit all sei­nen Facet­ten und damit gleich­zei­tig auf die Suche nach der por­tu­gie­si­chen See­le. Man muss ihm abneh­men, dass er in zwan­zig Jah­ren des Lebens und Arbei­tens in Por­tu­gal dies­be­züg­lich bewan­dert ist. Im Grun­de liest Kamm den Por­tu­gie­sen hier ordent­lich die Levi­ten, aber er ist so höf­lich, nicht alles zu ver­dam­men, son­dern auch die posi­ti­ven Aspek­te zu wür­di­gen. Feh­len­den Bür­ger­sinn und Gemein­wohl­den­ken macht der Autor bei­spiel­haft an der Art der auto­mo­bi­len Fort­be­we­gung der Por­tu­gie­sen fest, die er aus­führ­lich als meist unzi­vi­li­siert beschreibt. Auch wenn durch höhe­re Stra­fen und mehr Kon­trol­len die Lage bes­ser gewor­den sei, das Unrecht­be­wusst­sein der por­tu­gie­si­schen Auto­fah­rer bleibt sei­ner Ansicht nach unterentwickelt.

Beim Umgang mit Müll und dem gene­rel­len Umwelt­be­wußt­sein hin­ge­gen, stellt Kamm im Ver­gleich zu frü­her eine posi­ti­ve Ver­än­de­rung fest. Bes­ser gewor­den soll auch die Ein­stel­lung der Bür­ger zur Schat­ten­wirt­schaft und Steu­er­hin­ter­zie­hung gewor­den sein, mit­hil­fe der Regie­rung, die in die­sen Zei­ten ver­schärft auf die Steu­er­ei­nah­men schau­en muss.

Ein ande­res The­ma, wel­ches Kamm hier auf­greift, ist das Zeit­ver­ständ­nis und die Arbeits­kul­tur der Por­tu­gie­sen. Auch hier stellt der Autor eine Ver­bes­se­rung im Ver­gleich zu frü­he­ren Zei­ten fest, wenn­gleich die mit­tel­eu­ro­päi­sche Effi­zi­enz immer noch mei­len­weit von jener in Por­tu­gal ent­fernt ist. Man arbei­tet stun­den­mä­ßig mehr als im Durch­schnitt der EU-Län­der, ist aber eben nicht so pro­duk­tiv. Die von Kamm bezeich­ne­te "lusi­ta­ni­sche Läs­sig­keit" ist für ihn qua­si das Rezept in einem Land, in wel­chem vie­les nicht nach Plan läuft. Man impro­vi­siert oft und plant eher kurz­fris­tig. Einen Sei­ten­hieb ver­teilt Kamm an die Füh­rungs­kräf­te, denen er eine z.T. erschre­cken­de Unfä­hig­keit beschei­nigt. Der Autor zitiert den Sozi­al­den­ker Ante­ro de Quen­tal, der in einer Rede bereits 1871 die Grün­de für Por­tu­gals poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und mora­li­schen Absturz nann­te. Quen­tal nann­te zwei Haupt­grün­de: reli­giö­ser Kon­ser­va­tis­mus, der schöp­fe­ri­sches Den­ken im Keim erstick­te und die nega­ti­ven Fol­gen des Zeit­al­ters der Ent­de­ckun­gen, die umsich­ti­ges Wirt­schaf­ten und ehr­li­che Arbeit ver­nach­läs­sig­te, (sobald das Geld floss, ver­gaß man die Ver­ant­wor­tung. ) Kamm spannt hier­auf den Bogen wei­ter, indem er das Gold aus Bra­si­li­en vor 300 Jah­ren mit dem Geld aus Brüs­sel ver­gleicht, was nach Por­tu­gal ström­te und eben­falls nicht umsich­tig genug genutzt wur­de. Der Autor attes­tiert den Por­tu­gie­sen durch­aus Ein­sich­tig­keit – den­noch reagie­re der Durch­schnitts­portu­gie­se emp­find­lich, wenn Kri­tik von außen kommt. Hier hat Kamm wohl diver­se ein­schlä­gi­ge Erfah­run­gen gemacht.

Gar nicht hei­kel dage­gen ist das The­ma Essen und Trin­ken. Die Por­tu­gie­sen sind dar­in ihren roma­ni­schen Vet­tern min­des­tens eben­bür­tig. Aus­führ­lich und amü­sant beschreibt Kamm die lan­des­ty­pi­schen Ess- und Trink­ge­wohn­hei­ten, wobei die immer noch beson­de­re Stel­lung des getrock­ne­tetn bacal­hau (Stock­fisch) als Leib- und Magen­spei­se der Por­tu­gie­sen her­vor­ge­ho­ben wird. Über­haupt – Fisch ist ein­fach selbst­ver­ständ­lich in Por­tu­gal. Laut Kamm ist der pro Kopf-Ver­brauch der dritt­höchs­te welt­weit. Eine ande­re por­tu­gie­si­che Spe­zia­li­tät sind die unzäh­li­gen Pas­tel­ari­as, in denen neben Kaf­fee legen­där köst­li­che Lecker­rei­en gebo­ten werden.

In einem Buch über Por­tu­gal darf das natio­na­le Kul­tur­gut Fado nicht feh­len. Klar, dass auch Simon Kamm dar­auf ein­geht. Er gibt einen geschicht­li­chen Abriss über die Ent­ste­hung und Ent­wick­lung die­ser Musik und der damit ver­bun­de­nen Sau­da­de. Zwi­schen den Zei­len hat man das Gefühl, dass Kamm dem Fado etwas ambi­va­lent gegen­über steht. Etwas zu oft wird von ihm der spe­zi­el­le Gesang als "Gekräch­ze" bezeich­net und die Ein­zig­ar­tig­keit der "Gui­tar­ra Por­tu­gue­sa" wird eben­falls nicht recht gewür­digt. Man hät­te sich gefreut, dass er neben der Erwäh­nung eini­ger aktu­ell erfogrei­chen Gesangs-Prot­ago­nis­ten des Fado Novo (Ana Mou­ra, Mari­za, Car­min­ho etc. – war­um wird Gise­la Joao ver­ges­sen?) auch die jun­gen her­vor­ra­gen­den Instru­men­tal­mu­si­ker in die­sem Gen­re gewür­digt hät­te. Der Ver­weis auf das unbe­strit­te­nen Genie Car­los Pare­des ist 10 Jah­re nach des­sen Tod zu wenig. Nun ja, am Fado schie­den sich, wie Kamm auch rich­tig bemerkt, schon immer die Geister.

Der letz­te Abschnitt des Kapi­tels "Kul­tu­rel­le Wahr­zei­chen Por­tu­gals: "Über Dich­ter und Ver­wand­lungs­künst­ler" hält nicht ganz das Ver­spre­chen ein, wel­ches der Leser erwar­tet. Zwar wer­den Leben und Werk des  bedeu­tends­ten por­tu­gie­si­schen Dich­ters des 20. Jahr­hun­derts, Fer­nan­do Pes­soa, aus­führ­lich beschrie­ben, aber ansons­ten erfährt man hier nichts über Por­tu­gals Lite­ra­ten und deren Schaf­fen. Eben­so kom­men weder zeit­ge­nös­si­sche Musik- oder Film, noch Archi­tek­tur zur Spra­che. In allen Berei­chen hat­te und hat Por­tu­gal etwas zu bie­ten. Scha­de, das hät­te man bes­ser machen können.

Portugals Wappentier und Glücksbringer - Der Hahn von Barcelos
Por­tu­gals Wap­pen­tier und Glücks­brin­ger aus Kera­mik: Der Hahn von Barcelos

Geschich­te einer gro­ßen Seefahrernation

 

Ein Buch mit dem Unter­ti­tel "Län­der­por­trät" muss selbst­ver­ständ­lich auch einen Abschnitt über die geschicht­li­che Ent­wick­lung eines Lan­des beinhal­ten. Simon Kamm wid­met sich die­sem The­ma  im Kapi­tel Flie­sen­bil­der einer 900 Jah­re alten Geschich­te chro­no­lo­gisch sehr gewis­sen­haft  auf ca. 40 Sei­ten. Man erfährt von den Anfän­gen der Ur-Lusi­ta­nier im Kampf gegen Rom, über die Besie­de­lung der ibe­ri­schen Halb­in­sel durch die  ger­ma­ni­schen Stäm­me der West­go­ten und Sue­ben, über eine ers­te Blü­te­zeit unter mau­ri­scher Herr­schaft, über die Grün­dung des unab­hän­gi­gen König­rei­ches Por­tu­gal unter König Afon­so Hen­ri­ques I im Jah­re 1139 (mit der Haupt­stadt Gui­ma­r­aes), wel­ches 1143 vom König­reich Kas­ti­li­en-Léon offi­zi­ell aner­kannt wur­de. Die Unab­hän­gig­keit gegen­über Kas­ti­li­en – die Schlacht von Alju­ba­rot­ta 1385 ist aus por­tu­gie­si­scher Sicht der gro­ße Tri­umph gegen den mäch­ti­gen Nach­barn – und spä­ter Spa­ni­en, konn­te Por­tu­gal mit Aus­nah­me einer 60jährigen Pha­se zwi­schen 1580 und 1640 behaup­ten. Da war aber die gro­ße Zeit Por­tu­gals bereits vorüber.

Denkmal São Vicente, Albufeira (mit freundlicher Genehmigung von: http://quarknet.de)
Denk­mal São Vicen­te, Alb­ufei­ra (mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von: http://quarknet.de)

Die Zeit des Auf­stiegs zur mäch­ti­gen See­macht lässt Kamm mit der Erobe­rung der mar­ro­ka­ni­schen Stadt Ceu­ta im Jah­re 1415 unter genia­ler Feder­füh­rung des Infan­ten Dom Hen­ri­que (Hein­rich der See­fah­rer, der jedoch selbst nie über Marok­ko hin­aus­kam) begin­nen. In deren Fol­ge nahm die sys­te­ma­ti­sche Über­see-Expan­si­on ihren Lauf.  Der Autor beschreibt anschau­lich die Erobe­rung der dama­li­gen Welt durch die Por­tu­gie­sen mit ihren über­le­ge­nen, hoch­see­tüch­ti­gen Schif­fen. Die berühm­ten "Ent­de­cker" wer­den natür­lich gewür­digt. Die Namen Vas­co da Gama, Bar­to­lom­eu Dias, Pedro Álva­res Cabral, Fer­nao Magal­haes ste­hen für Glanz und Glo­ria  eines Welt­rei­ches, aber auch für des­sen trau­ri­ge Schat­ten­sei­te: der meh­re­re jahr­hun­dert­lan­gen Ver­schlep­pung und Ver­skla­vung von Mil­lio­nen von afri­ka­ni­schen Men­schen. Mit der ver­lo­re­nen Schlacht von Alca­cér-Qui­bir (Marok­ko) im Jah­re 1580 begann der lang­sa­me aber unauf­hör­li­che Abstieg der Welt­macht Por­tu­gal. Zu recht gei­ßelt Simon Kamm, die Unfä­hig­keit der herr­schen­den Eli­ten über Hun­der­te von Jah­ren, die por­tu­gie­si­sche Wirt­schaft nach­hal­tig auf gesun­de Füße zu stel­len. Wäh­rend das Mut­ter­land und die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung immer mehr ver­arm­ten, wur­de am Hof und in Adels­krei­sen in "Saus und Braus" gelebt, als gäbe es kein mor­gen. Das ging solan­ge gut, wie man die Kolo­nien aus­beu­ten konn­te. Vor allem das Gold aus Bra­si­li­en ver­hieß immer­wäh­ren­den Reich­tum.  Spä­tes­tens mit der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung Bra­si­li­ens im Jah­re 1822 war damit end­gül­tig Schluss. Inzwi­schen hat­ten ande­re Spie­ler auf den Welt­mee­ren (Eng­land und die Nie­der­lan­de) das Sagen. Und im Euro­pa Napo­le­ons dien­te Por­tu­gal den fran­zö­si­schen Trup­pen mehr­mals als Schlacht­feld mit ver­hee­ren­den Fol­gen. Zwar stand Eng­land als "Freund" vor­der­grün­dig den Por­tu­gie­sen bei, jedoch nie ohne mas­si­ve wirt­schaft­li­che Eigen­in­ter­es­sen. Am Ende des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts und zu Beginn des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts war Por­tu­gal schließ­lich ein Land vol­ler Armut und gerin­ger Bil­dung.  Und 1910 war schließ­lich die Mon­ar­chie am Ende.

 

Von Sala­zar zur Demo­kra­tie und den Boom-Jah­ren – und der Kri­se danach

 

"Der ein­ge­zäun­te Gar­ten Sala­zars" – so tref­fend beti­telt Kamm den Abschnitt über die 40-jäh­ri­ge Dik­ta­tur Por­tu­gals zwi­schen 1932 und 1974.  Mit dem "Todes­stoß" der kon­sti­tu­tio­nel­len Mon­ar­chie (das Atten­tat auf König Dom Car­los I, am 1. Febru­ar 1908 auf der Pra­ca de Com­mer­cio in Lis­sa­bon) beginnt der Autor die geschicht­li­che Ent­wick­lung hin zum Sala­zar / Caet­a­no-Regime begin­nen­und lässt die Peri­ode mit den Kolo­ni­al­krie­gen in Afri­ka und der anschlie­ßen­den soge­nann­ten Nel­ken­re­vol­ku­ti­on im April 1974 enden. Der Leser bekommt hier in kom­pak­ter Form die wich­tigs­ten Fak­ten und Facet­ten jener Zeit ser­viert, die für das Land die größ­ten Umwäl­zun­gen in sei­ner neue­ren Geschich­te bedeu­te­ten. Das Sala­zar bei vie­len Por­tu­gie­sen sehr viel spä­ter (2006 in einer Fern­seh­sen­dung über die größ­ten Por­tu­gie­sen aller Zei­ten) immer noch eine gewal­ti­ge, in Kamm's Wor­ten "beun­ru­hi­gen­de" Popu­la­ri­tät genießt, begrün­det der Autor als Fol­ge des Trau­mas der ver­lo­re­nen Kolo­ni­al­krie­ge und einer gewis­sen "Rück­stan­dig­keit, an der Por­tu­gal bis heu­te krankt". Dar­über lässt sich sicher treff­lich dis­ku­tie­ren, man nimmt Simon Kamm aber auf Grund sei­ner Bio­gra­fie ab, dass er die gesell­schaft­li­chen Zustän­de des Lan­des gut beur­tei­len kann.

"Im Schnell­durch­gang nach Euro­pa" bezeich­net wie­der­um tref­fend die Ent­wick­lung des Lan­des in der Pha­se ab dem Bei­tritt zur Euro­päi­schen Gemein­schaft (1986)  bis heu­te. Mit Zah­len hin­ter­legt bringt Kamm alles Wesent­li­che zur Spra­che: Wie Por­tu­gal qua­si im Schleu­der­gang den Weg zur moder­nen Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft ging und gleich­zei­tig sei­ne indus­tri­el­le Basis an auf­stre­ben­de Län­der in Ost­eu­ro­pa bzw. Asi­en ver­lor. Wie ein unglaub­li­cher Kon­sum­rausch in den 90er-Boom-Jah­ren das gan­ze Land erfass­te, der bereits vor der inter­na­tio­na­len Finanz­kri­se brö­ckel­te und ab 2008 in einem wah­ren Kat­zen­jam­mer ende­te, wel­cher bis heu­te anhält. Man kann Simon Kamm durch­aus in sei­ner Argu­men­ta­ti­on fol­gen, dass "das Tem­po und die Inten­si­tät des Wan­dels das Land über­rannt hat".  Die wahn­wit­zi­ge "Beto­ni­sie­rung", vor allem in Gestalt eines grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Auto­bahn­net­zes, gau­kel­te einen Fort­schritt vor, der auf töner­nen Füßen stand. Kamm nimmt sich äußerst  kri­tisch die poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Eli­ten Por­tu­gals zur Brust, beschei­nigt die­sen im Grun­de ein Ver­sa­gen auf gan­zer Linie und stellt sich auf die Sei­te der nor­ma­len Bür­ger. Der Satz: "Es ist die bei wei­tem best­aus­ge­bil­dets­te Gene­ra­ti­on, die gera­de ihre Zukunft ver­passt " bringt die aktu­el­le gesell­schaft­li­che Mise­re auf den Punkt. Wer sich eini­ger­ma­ßen in Por­tu­gal aus­kennt wird dem nicht wider­spre­chen können.

Ganz am Schluss gibt Simon Kamm der ver­lo­re­nen, jun­gen Gene­ra­ti­on doch Hoff­nung, indem er ihr zutraut für die Zukunft zu kämp­fen und dass sie ".…nicht nur ein ande­res Por­tu­gal anstrebt, son­dern auch einen Bruch mit der Ver­gan­gen­heit schaf­fen will. Und tat­säch­lich liegt es an ihr, Por­tu­gal wie­der auf den rich­ti­gen und nach­hal­ti­gen Pfad zu füh­ren – wenn man sie nur lässt.…".

Luftaufnahme Ria Formosa, Algarve (mit freundlicher Genehmigung von: http://quarknet.de)
Luft­auf­nah­me Ria For­mo­sa, Algar­ve (mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von: http://quarknet.de)

Ein wert­vol­les Buch für Freun­de Por­tu­gals und sol­che, die es wer­den wollen

 

Man wird im Moment schwer­lich ein deutsch­spra­chi­ges Buch über Por­tu­gal fin­den, wel­ches die Vehält­nis­se so pro­fund und aktu­ell beschreibt wie Simon Kamm dies hier tut. Dafür gebührt dem Autor gro­ßer Dank. Wer mehr über das wun­der­ba­re Land und sei­ne Men­schen am Wes­t­en­de Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas wis­sen will ist mit die­sem Werk bes­tens bedient. Kamm pflegt einen flüs­si­gen, gut les­ba­ren, manch­mal emo­tio­na­len Schreib­stil und ver­mit­telt dadurch die zahl­rei­chen Fak­ten mit Leichtigkeit.

Ein sehr erfreu­li­ches Buch, wel­ches wir trotz der oben bespro­chen klei­nen Schwä­chen unse­ren Lesern ger­ne emp­feh­len möchten.

 

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0 Gedanken zu „Algar­ve für Ent­de­cker-Buch­be­spre­chung: Por­tu­gal – Ein Länderporträt

  • Das bes­te Buch seit lan­gem, das ich über Por­tu­gal gele­sen haben. Simon Kamm ist ein Jour­na­list, und das merkt man. Sein Buch, das ich nur emp­feh­len kann, ist flüs­sig geschrie­ben, unter­halt­sam und infor­ma­tiv. Der Mann ver­steht sein Handwerk.

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  • anna4algarve

    Kom­pli­ment: das ist eine sehr leben­di­ge, gelun­ge­ne Buch­be­spre­chung! Wei­ter so!

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