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Mad­die zehn Jah­re ver­schwun­den: Pra­ia da Luz will zur Ruhe kommen

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Unmit­tel­bar vor dem 10. Jah­res­tag des Ver­schwin­dens von Made­lei­ne McCann an der Algar­ve ver­su­chen vor allem eng­lisch­spra­chi­ge Medi­en, den Fall noch ein­mal zu nut­zen, um Auf­la­gen und Nut­zer-Quo­ten zu stei­gern. Sen­sa­ti­ons­lüs­tern wer­den angeb­lich weg­wei­sen­de neue Erkennt­nis­se ver­spro­chen, aber die Bericht­erstat­tung in Aus­tra­li­en und Groß­bri­tan­ni­en bleibt letz­lich vage und zum Teil wider­sprüch­lich. Man­che Medi­en aus ande­ren Län­dern grei­fen die­se Arti­kel und Sen­dun­gen auf; die Spi­ra­le der Spe­ku­la­tio­nen dreht sich wei­ter. Aber wie füh­len sich dabei die Men­schen am Tat­ort des Gesche­hens vom 3. Mai 2007? Wie geht die Bevöl­ke­rung in Pra­ia da Luz mit den Ereig­nis­sen von damals bis heu­te um? Wir haben uns umge­hört und berich­ten ausführlich.

Der pri­va­te aus­tra­li­sche Fern­seh­ka­nal "Chan­nel 7" lässt in sei­ner Sen­dung "Sun­day Night" am 23. April 2017 die Eltern Kate und Ger­ry McCann sehr aus­führ­lich zu Wort kom­men – offen­bar bei einem Auf­ent­halt in Lis­sa­bon gefilmt. Das Arzt-Ehe­paar schil­dert Repor­te­rin Rah­ni Sad­ler, wie ver­zwei­felt es war, wie es bereut, sei­ne drei Kin­der damals allei­ne im Feri­en-Appar­te­ment gelas­sen zu haben und wei­ter­hin hofft, die ver­schwun­de­ne "Mad­die" zu fin­den. Auf Nach­fra­ge wei­sen bei­de strikt den Ver­dacht zurück, sie selbst könn­ten die Klei­ne getö­tet haben. Wei­te­re Befrag­te – zum Bei­spiel jeweils ein eng­lisch­spra­chi­ger Foren­si­ker, Kri­mi­na­list, PR-Exper­te und Jour­na­list – äußern sich neu­tral oder unter­stüt­zen die Theo­rie einer Ent­füh­rung, etwa in Zusam­men­hang mit einem ver­such­ten Ein­bruch, oder eines Unfalls.

Nur kurz darf der frü­he­re Chef-Ermitt­ler Gon­çal­vo Ama­ral auf Por­tu­gie­sisch sei­nen Ver­dacht wie­der­ho­len, die Eltern sei­en die Haupt­ver­däch­ti­gen. Eine Spre­che­rin sagt beim Dol­met­schen, Ama­ral sehe Hin­wei­se dar­auf, dass die McCanns ihre Auf­sichts­pflicht ver­nach­läs­sigt hät­ten und der Kör­per des Kin­des ver­steckt wor­den sei. Mad­die sei sediert wor­den und sie kön­ne sich in die­sem Zustand bei einem Sturz töd­li­che Ver­let­zun­gen zuge­zo­gen haben. Hin­wei­se auf eine Ent­füh­rung gebe es laut Ama­ral nicht – eine Hal­tung, die in dem TV-Bei­trag auch die Fall-Ana­ly­ti­ke­rin Pat Brown äußern darf. Erwähnt wird zudem die Ver­mu­tung, dass bri­ti­sche Geheim­dienst­ler beim Ver­ber­gen des Kör­pers gehol­fen haben könnten.

Meh­re­re sug­ges­ti­ve Fra­gen ("Glau­ben Sie wirk­lich…?") las­sen die Skep­sis der Repor­te­rin gegen­über vie­lem erken­nen, was sich nicht mit den Aus­sa­gen der McCanns deckt: Sie glaubt eher den Eltern, die abwei­chen­de Annah­men aus­drück­lich als "lächer­lich" oder "Unsinn" bezeich­nen. Erst weni­ge Tage zuvor hat­te es in bri­ti­schen Blät­tern gehei­ßen, ein ehe­ma­li­ges Kin­der­mäd­chen aus der Feri­en­an­la­ge in Pra­ia da Luz habe „ihr Schwei­gen gebro­chen“, dama­li­ge Sicher­heits­män­gel kri­ti­siert und der por­tu­gie­si­schen Poli­zei Ver­säum­nis­se bei der kri­mi­nal­tech­ni­schen Unter­su­chung vor­ge­wor­fen. Und ein frü­her mit dem Fall beauf­trag­ter bri­ti­scher Pri­vat-Detek­tiv und Ex-Poli­zist habe angeb­lich „neue Erkennt­nis­se“ gefun­den. Nach die­ser Theo­rie kön­ne es sein, dass Mad­die der­zeit ver­steckt an der Süd­küs­te Por­tu­gals lebe, ohne ihre wah­re Iden­ti­tät zu kennen.

 

Por­tu­gie­si­sche Poli­zei unter­sucht wei­ter – von Por­to aus

 

Im Gegen­satz dazu erklä­ren in der aus­tra­li­schen TV-Sen­dung eini­ge Befrag­te, es gebe rund um Pra­ia da Luz hun­der­te von Fels­spal­ten und Schäch­te auf­ge­ge­be­ner Brun­nen, in denen ein Kör­per ver­steckt wer­den kön­ne, ohne dass es jemand bemer­ke. Nach tat­säch­li­cher Hoff­nung auf ein Über­le­ben von Made­lei­ne Beth McCann, wie das Kind mit vol­lem Namen heißt, klingt das nicht…

Die por­tu­gie­si­sche Nach­rich­ten­agen­tur Lusa zitier­te nach der Aus­strah­lung den stell­ver­tre­ten­den Kri­mi­nal­po­li­zei­chef Pedro do Car­mo mit der Bestä­ti­gung, der ein­zig­ar­ti­ge Fall in der Geschich­te des Lan­des sei "noch offen". Er wer­de jetzt von einem Team der Polí­cia Judi­ciá­ria aus der Stadt Por­to bear­bei­tet. Die Unter­su­chun­gen wür­den been­det, wenn ent­we­der Ant­wor­ten gefun­den sei­en oder man an den Punkt kom­me, wo nichts mehr wei­ter getan wer­den könne. 

Garten des Luz Ocean Club in Praia da Luz bei Lagos
Blick in den Gar­ten und Pool-Bereich des Luz Oce­an Club, in dem die Fami­lie McCann 2007 Urlaub mach­te. Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

Unter­des­sen geht in der 3.500 Ein­woh­ner klei­nen Küs­ten-Kom­mu­ne Pra­ia da Luz das Leben sei­nen gewohn­ten Gang. Hin­wei­se auf bevor­ste­hen­de Gedenk­ver­an­stal­tun­gen in der letz­ten April- oder ers­ten Mai-Woche sind weder hier noch andern­orts zu erken­nen. Trans­pa­ren­te oder Pla­ka­te mit Mad­dies Kon­ter­fei feh­len, Fotos des Blond­schop­fes mit den mar­kan­ten Kul­ler­au­gen sind im öffent­li­chen Raum nicht zu sehen. Die römisch-katho­li­sche Diö­ze­se teilt auf Anfra­ge distan­ziert und sach­lich-nüch­tern mit: „Wir ken­nen die­ses The­ma nur über die Medi­en und sind an der Sache nicht betei­ligt. Die­se Ange­le­gen­heit betrifft nur die Zivil- und Jus­tiz­be­hör­den, die in allen Unter­su­chungs­ver­fah­ren zustän­dig sind. Ange­sichts des­sen neh­men wir dazu nicht Stel­lung.“ Ihr Pater José Manu­el Pach­eco, heu­te nach wie vor als Seel­sor­ger im Ort tätig, hat­te der Katho­li­kin Kate McCann und ihrem Ehe­mann Ger­ry damals beigestanden.

 

Kir­chen pla­nen offen­bar kein Geden­ken in Pra­ia da Luz

 

Schwei­gen über die Gescheh­nis­se, die wir hier in einer Chro­no­lo­gie zusam­men­ge­fasst haben, herrscht auch bei der angli­ka­ni­schen Gemein­de St. Vin­cent. Eine E‑Mail-Anfra­ge zu einem mög­li­chen Gedenk­got­tes­dienst bleibt unbe­ant­wor­tet. Auf ihrer Inter­net­sei­te ver­liert die St. Vin­cent-Gemein­de über die bewe­gen­den Tage nach dem 3. Mai eben­falls kein Wort. Ihr Pfar­rer Hay­nes Hub­bard hat­te die McCanns damals seel­sor­ge­risch betreut. Wich­ti­ger ist der Gemein­de nun, kurz vor dem Jah­res­tag, eine „Kaf­fee und Kuchen“-Veranstaltung zu Fund­rai­sing-Zwe­cken. Und dass sich Kar­frei­tag und Ostern zusam­men­ge­rech­net rund 340 Gläu­bi­ge der Church of Eng­land im gemein­sam mit den Katho­li­ken genutz­ten Got­tes­haus „Nos­sa Senho­ra da Luz“ ver­sam­melt hat­ten – so vie­le wie nie zuvor.

Vor zehn Jah­ren war Kate und Ger­ry McCann die Mög­lich­keit ein­ge­räumt wor­den, in den dunk­len Tagen nach dem Ver­schwin­den von Mad­die jeder­zeit in der schnee­wei­ßen Kir­che mit der ocker­far­be­nen Außen­mar­kie­rung beten zu dürfen.

Unternehmer Wolfgang Bald aus Sagres
Wolf­gang Bald

„Die Eltern sind jeden Tag in die Kapel­le gegan­gen“, erin­nert sich Wolf­gang Bald. Der Nürn­ber­ger betreibt schon seit 1996 den Ver­kaufs­stand „Letz­te Brat­wurst vor Ame­ri­ka“ am nahe­ge­le­ge­nen Cabo de São Vicen­te. Er bekam 2007 haut­nah viel von den Ereig­nis­sen mit.

„Da folg­ten den McCanns – natür­lich in gebüh­ren­dem Abstand – immer eini­ge Leu­te. Die Eltern hat­ten einen eige­nen Schlüs­sel für die Kir­che erhal­ten und konn­ten wenigs­tens innen in Ruhe sein und beten“.

Sehn­sucht nach Ruhe statt nach erneu­tem Medienrummel

 

Irgend­wann, nach eini­gen Wochen, sei die Stim­mung in der Regi­on dann umge­schla­gen. „Es war ein­fach zu viel. Man hat gesagt: Es muss auch ein­mal wie­der Ruhe ein­keh­ren“, so der Deut­sche, der ein Por­tu­gal­fo­rum im Inter­net lei­tet. Nach sei­nem Emp­fin­den waren Resi­den­ten und Urlau­ber damals zunächst wie im Schock: „Gan­ze Stra­ßen­zü­ge waren voll mit Über­tra­gungs­wa­gen. Fern­seh­teams aus aller Welt berich­te­ten, sowie Zei­tungs- und Radio-Jour­na­lis­ten. Es hat sich in Pra­ia da Luz prak­tisch kei­ner mehr so rich­tig aus dem Haus getraut, weil sofort drei, vier Repor­ter bei ihm waren. Das war ein rich­ti­ger Ausnahmezustand.“

Zeitungsausschnitt aus Skandinavien zu Familie McCann
Vie­le Bou­le­vard-Blät­ter berich­te­ten umfang­reich. Foto: Alex­an­der Rathenau

Die Jour­na­lis­ten hät­ten sich damals gewis­ser­ma­ßen „an jeden Stroh­halm geklam­mert“ und stän­dig ver­sucht, jeweils neue und ande­re Infor­ma­tio­nen zu ergat­tern, berich­tet Bald. Der Ort schien ihm „hoff­nungs­los über­schwemmt“ mit Reportern.

„Der gan­ze Medi­en­rum­mel, der vom ers­ten Tag an schon los­ging, dürf­te die poli­zei­li­che Ermitt­lungs­ar­beit unge­mein erschwert haben“, sagt der Geschäfts­mann. Er ver­mu­tet den­noch, dass den por­tu­gie­si­schen Ermitt­lern höchs­tens klei­ne­re Feh­ler unter­lau­fen sei­en. Gra­vie­ren­de Pan­nen hin­ge­gen habe es bei der gut geschul­ten por­tu­gie­si­schen Poli­zei aus sei­ner Sicht nicht gegeben.

Bou­le­vard-Blatt macht deut­schen Juris­ten zu Poli­zei­prä­si­den­ten Portugals

 

Rechtsanwalt Alexander Rathenau aus Lagos, Portugal
Alex­an­der Rathenau

Auch Dr. Alex­an­der Rathen­au, zum Zeit­punkt von Made­lei­nes Ver­schwin­den als Rechts­an­walt in einer Kanz­lei tätig, die nur weni­ge Meter von der Feri­en­an­la­ge ent­fernt liegt, kri­ti­siert, wie sich ein Teil der eng­li­schen Medi­en ver­hal­ten habe: „Obwohl es nichts wei­ter zu berich­ten gab, haben Pres­se­ver­tre­ter wochen­lang das klei­ne Dorf Pra­ia da Luz bela­gert“. Da die Jour­na­lis­ten wenig Fak­ti­sches erfah­ren hät­ten, sei die Bericht­erstat­tung sehr ober­fläch­lich gewe­sen und man sei auf die Suche nach Gesprächs­part­nern gegangen.

Rathen­au, der heu­te deut­scher Hono­rar­kon­sul an der Algar­ve ist, wur­de 2007 mehr­fach inter­viewt. „In einer skan­di­na­vi­schen Zei­tung, die dem deut­schen Blatt ‚Bild‘ ähnelt, wur­de ich – mit mei­nem deut­schen Namen – als der Poli­zei­prä­si­dent Por­tu­gals dar­ge­stellt… Dies macht die Qua­li­tät der Arbeit sol­cher Bou­le­vard-Medi­en deut­lich“, urteilt der Jurist.

Zufahrtsstraße mit portugiesischem Verkehrsschild
Acht­zu­ge­ben auf Kin­der, wird schon am Orts­ein­gang von Pra­ia da Luz gera­ten. Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

Hat die bri­ti­sche Regie­rung ver­sucht, wie eini­ge Beob­ach­ter hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand äußern, einen Ein­fluss auf die Bericht­erstat­tung zu neh­men, da sie durch den Medi­en­rum­mel um die ange­se­he­ne Aka­de­mi­ker-Fami­lie aus Roth­ley in der Graf­schaft Lei­ces­ter­shire unter Druck zu gera­ten glaub­te? Und hat sie des­halb mit der Frei­ga­be von Geld­mit­teln – bis­her sol­len alle Such­maß­nah­men rund 14 Mil­lio­nen Euro gekos­tet haben – die Auf­klä­rung unterstützt?

Rathen­au hält sich diplo­ma­tisch zurück, betont, er kön­ne ohne­hin nur sei­ne per­sön­li­che Mei­nung mitteilen.

 

Kein Ver­ständ­nis für Rechts­streit über Ermittler-Buch

 

Klar und ein­deu­tig ist die­se bei der Beur­tei­lung des mehr als acht­jäh­ri­gen Rechts­streits zwi­schen den Eltern McCann und Kri­mi­nal­kom­mis­sar Gon­çal­vo Ama­ral, der nach sei­ner Sus­pen­die­rung ein Buch ver­öf­fent­licht hat­te, das dem bri­ti­schen Arzt-Ehe­paar miss­fiel, weil es die Ent­füh­rungs-The­se in Zwei­fel zog: „Ich bin der Auf­fas­sung, dass der Kri­mi­nal­kom­mis­sar mit sei­nem Bericht eine per­sön­li­che Mei­nung bzw. eine per­sön­li­che Über­zeu­gung über das Tat­ge­sche­hen geschil­dert hat. Die­se Schil­de­rung wird durch die Mei­nungs­frei­heit geschützt. Die Eltern des Klein­kin­des hät­ten kei­ne Kla­ge gegen den por­tu­gie­si­schen Ermitt­ler erhe­ben sol­len“, äußert der Anwalt und Advo­ga­do aus Lagos.

Ein deut­scher Resi­dent, der seit gut einem hal­ben Jahr in Car­voei­ro ansäs­sig ist, unter­streicht, dass er ver­ste­he, wenn Eltern mit dem Ver­lust eines Kin­des nicht fer­tig wür­den, zumal wenn die Umstän­de unge­klärt sei­en. Aber dafür, dass die Sache durch einen Rechts­streit über Jah­re am Leben gehal­ten wer­de, habe er wenig Ver­ständ­nis, fügt er hin­zu. Nach sei­ner Beob­ach­tung ist das The­ma Mad­die McCann in der hier star­ken deut­schen Gemein­schaft „in der Ver­sen­kung ver­schwun­den“. Für vie­le sei die Sache „abge­tan“, auch wenn das viel­leicht etwas herz­los klinge.

Strand von Praia da Luz bei Lagos mit schwarzem Felsen
Pra­ia da Luz mit sei­nem schwar­zen Fel­sen: Noch immer scheint kein Licht ins Dun­kel des rät­sel­haf­ten Falls. Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

Wolf­gang Bald aus Sagres stimmt zu und sagt: „Es dürf­te jeder froh sein, wenn der Jah­res­tag des 3. Mai vor­bei ist. Die meis­ten sind bereits über­sät­tigt an Infor­ma­tio­nen. Im Prin­zip kann’s kei­ner mehr hören – so schlimm, wie es für das Kind ist“. Wer das The­ma trotz­dem anspricht und mit Eng­län­dern, Por­tu­gie­sen und Deut­schen redet, der spürt, wie schwer es man­chem fällt, an die Theo­rie der Ent­füh­rung eines aus­län­di­schen Urlau­ber­kin­des zu glauben.

Wenn über­haupt, dann kön­ne es sich wohl nur um einen inter­na­tio­nal täti­gen Ring von aus­län­di­schen Tätern gehan­delt haben, meint ein Fri­sör in Luz – etwa ein Kreis von Pädo­phi­len oder von Men­schen­händ­lern, die Klein­kin­der rau­ben, um sie an Adop­ti­ons­wil­li­ge in aller Welt zu ver­kau­fen. Dass es "jemand von hier" gewe­sen sein kön­ne, hält er für aus­ge­schlos­sen. In der hie­si­gen dörf­li­chen Regi­on ken­ne doch prak­tisch jeder jeden…

 

Nicht weni­gen in Pra­ia da Luz fällt Glau­be an Ent­füh­rung schwer

 

Zu der wahr­nehm­ba­ren Stim­mung hat offen­bar auch die Lek­tü­re des umstrit­te­nen Ama­ral-Buchs bei­getra­gen, des­sen über­setz­ter Titel lau­tet „Die Wahr­heit der Lüge“. Der por­tu­gie­si­sche Chef-Ermitt­ler, der nach Kon­tro­ver­sen mit bri­ti­schen Spe­zia­lis­ten vom Dienst sus­pen­diert wor­den war, leg­te in dem Werk sei­ne sub­jek­ti­ve kri­mi­na­lis­ti­sche Sicht dar. Ver­ein­facht dar­ge­stellt lau­tet sie: Es sei wohl kei­ne Ent­füh­rung oder kein Mord gewe­sen, son­dern eher ein tra­gi­scher Unglücks­fall, der anschlie­ßend ver­mut­lich zu ver­tu­schen ver­sucht wor­den sei. In eine ähn­li­che Rich­tung hat­te sich spä­ter die Kri­mi­nal­fall-Ana­ly­ti­ke­rin Pat Brown geäußert.

Jeder hier hat zu den Vor­komm­nis­sen sei­ne eige­ne Mei­nung, sei­ne sub­jek­ti­ve Hal­tung, man­cher neigt der einen oder ande­ren Spe­ku­la­ti­on zu, hat hier etwas per­sön­lich gehört oder dort etwas Frag­men­ta­ri­sches den Medi­en ent­nom­men. Doch Genau­es, Kon­kre­tes, Gesi­cher­tes ist selbst zehn Jah­re nach dem Vor­fall, der die Welt erschüt­ter­te, und nach mehr als 8.680 von den Ermitt­lern aus­ge­wer­te­ten Ein­zel­hin­wei­sen aus 101 Län­dern kaum greifbar.

Strandpromenade Praia da Luz mit Restaurant am Felsen
Feri­en­pa­ra­dies für vie­le bri­ti­sche Kin­der: der Strand von Pra­ia da Luz bei Lagos an der Algar­ve. Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

Auch zu der Fra­ge, ob der Ver­miss­ten­fall dem Tou­ris­ten­ort Pra­ia da Luz wirt­schaft­lich gescha­det habe, gibt es kei­ne von Fak­ten gestütz­ten Ein­schät­zun­gen. „Es war ein gra­vie­ren­der Umsatz­rück­gang in der Ziel­grup­pe der bri­ti­schen Fami­li­en mit Kin­dern zu bemer­ken. Der wur­de aber spä­ter kom­pen­siert von Tou­ris­ten aus ande­ren Natio­nen“, hat Unter­neh­mer Bald beob­ach­tet. Die zustän­di­ge Stadt­ver­wal­tung von Lagos und das Tou­ris­mus­bü­ro hin­ge­gen blei­ben auf offi­zi­el­le schrift­li­che Anfra­gen zu der The­ma­tik jeweils eine Ant­wort schuldig.

Ein Immo­bi­li­en­mak­ler aus Alman­cil bei Loulé bestä­tigt, dass in Por­tu­gal "das The­ma durch" sei. Der gebür­ti­ge Deut­sche macht die immer grö­ße­re Schnell­le­big­keit dafür ver­ant­wort­lich, dass beson­ders in den zurück­lie­gen­den Jah­ren die Sen­si­bi­li­tät und auch das Inter­es­se für sol­che mensch­lich bewe­gen­den The­men ver­lo­ren gegan­gen seien.

 

Por­tu­gie­sen leh­nen Allein­las­sen von Kin­dern ab

 

Hört man im per­sön­li­chen Gespräch mit Por­tu­gie­sen, etwa beim Fri­sör oder im Lebens­mit­tel-Laden, genau­er hin, spürt man auch heu­te noch, wie unfass­bar das Ver­schwin­den des damals fast vier­jäh­ri­gen bri­ti­schen Urlau­ber­kin­des Mad­die für vie­le Ein­hei­mi­sche geblie­ben ist. Hier spie­len unter­schied­li­che Men­ta­li­tät und Rechts­la­ge eine wich­ti­ge Rol­le. Meis­tens neh­men por­tu­gie­si­sche Eltern abends ihre Kin­der mit, wenn sie zum Essen aus­ge­hen. Und wenn sie nach Rück­kehr spä­ter noch ein­mal das Haus ver­las­sen wol­len, grei­fen sie meist auf jemand zurück, der dann auf die Kin­der auf­passt, damit der gesetz­li­chen Auf­sichts­pflicht Genü­ge getan ist.

Werbeschild Luz Ocean Club in Praia da Luz
Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

Mit einem der­ar­ti­gen Baby­sit­ting-Ange­bot wirbt der Luz Oce­an Club auch heu­te noch. Den Eltern McCann war die­se Opti­on bekannt, sie mach­ten davon aber am 3. Mai 2007 kei­nen Gebrauch und lie­ßen die drei­jäh­ri­ge Made­lei­ne und die zwei Jah­re alten Zwil­lin­ge Sean und Ame­lie allein im Appar­te­ment 5A, um mit einer Grup­pe enger Freun­de in einer nahe gele­ge­nen Tapas-Bar zu Abend zu essen. Sie schau­ten nur hin und wie­der nach den Klei­nen – abwech­selnd mit ande­ren aus der Grup­pe. War­um sie nicht ganz "auf Num­mer Sicher" gin­gen, ver­steht hier unter den Ein­hei­mi­schen bis heu­te kaum jemand…

 

Ob Mad­die wie durch ein Wun­der noch auftaucht?

 

Wer sich in der Regi­on des Gesche­hens umhört, stellt nicht beson­ders viel Hoff­nung dar­auf fest, dass die seit zehn Jah­ren ver­miss­te Mad­die als heu­te fast vier­zehn­jäh­ri­ger Teen­ager irgend­wo wie­der auf­taucht. Die Mehr­heit der Por­tu­gie­sen sei der Mei­nung, dass die Ver­miss­te nicht mehr lebe, schätzt ein Beob­ach­ter ein. Ein ande­rer meint, ein Auf­fin­den sei zwar wün­schens­wert, aber er zweif­le dar­an, ob etwa­ige Berich­te dar­über, was mit dem Mäd­chen in der Zwi­schen­zeit gesche­hen sei, posi­ti­ven Inhalt haben könnten.

Strand von Praia da Luz bei Lagos
Eltern pas­sen am Strand von Pra­ia da Luz auf ihre Kin­der auf. Foto: Hans-Joa­chim Allgaier

So bleibt ein Blick in die Sta­tis­tik, um die Wahr­schein­lich­keit eines Wie­der­auf­tau­chens zu bewer­ten. Allein in Deutsch­land gal­ten nach Anga­ben des Maga­zins Focus Anfang die­ses Jah­res 11.000 Kin­der bis zu 17 Jah­ren als ver­misst. Die Bun­des­kri­mi­nal­be­am­ten haben in die­ser Zahl alle unge­klär­ten Fäl­le seit Beginn der fünf­zi­ger Jah­re zusam­men­ge­fasst. Nach Behör­den­aus­sa­gen wer­den in Deutsch­land täg­lich durch­schnitt­lich 20 Kin­der als ver­misst gemel­det. Glück­li­cher­wei­se blei­ben aber nur weni­ge auch nach län­ge­rer Zeit noch verschwunden.

Einen Hoff­nungs­schim­mer kann die Erin­ne­rung an den Fall der Öster­rei­che­rin Nata­scha Kam­pusch stif­ten. Er beweg­te 2006 die Gemü­ter welt­weit nach­dem bekannt wur­de, dass sie im Alter von zehn Jah­ren ver­schleppt und acht Jah­re lang in einem Kel­ler gefan­gen gehal­ten wor­den war. Auch das Wie­der­auf­tau­chen von drei zehn Jah­re lang ver­miss­ten Mäd­chen in Cleve­land 2013 sowie die Fäl­le Eli­sa­beth Fritzl, Jay­cee Lee Dugard und Shawn Horn­beck kön­nen hel­fen, die Zuver­sicht nicht sin­ken zu lassen.

Wie ein Wun­der mutet schließ­lich auch an, was vor weni­gen Mona­ten, im Janu­ar 2017, bekannt wur­de: Die Ame­ri­ka­ne­rin Kami­ya Mobley aus Flo­ri­da, die weni­ge Stun­den nach ihrer Geburt am 10. Juli 1998 gekid­nappt wor­den war, konn­te nach 18-jäh­ri­ger Suche lebend auf­ge­fun­den wer­den – in South Caro­li­na, meh­re­re hun­dert Kilo­me­ter von ihrem Geburts­ort Jack­son­ville ent­fernt. Ein nach einem anony­men Hin­weis durch­ge­führ­ter DNA-Test bestä­tig­te ihre wah­re Iden­ti­tät – und dass sie nicht die leib­li­che Toch­ter der Ent­füh­re­rin ist, bei der sie auf­ge­wach­sen war…

Hans-Joachim Allgaier
Anzei­ge

Hans-Joachim Allgaier

Deutscher Journalist mit Know-how in Public Relations/Marketing/Corporate Communications - Portugal-/Algarve-/Alentejo-Liebhaber

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